Samstagmittag in der Wiener Innenstadt. Ich sitze in einem Lokal, das für seine gute Küche in mittlerer Preislage bekannt ist. Soweit so unspektakulär. Richtig aufregend wird es auch nicht, nur ich rege mich auf. Und zwar, weil ich wie meistens eine Speisekarte bekomme, die keine Auskunft darüber gibt, was eigentlich auf den Teller kommt. Und damit meine ich nicht, welche Speisen angeboten werden, sondern woher die Zutaten dafür stammen und ob sie biologisch oder konventionell hergestellt wurden.
Das unbekannte Huhn
Wenn ich den Wirt oder das Lokal, in dem ich essen will, nicht gut kenne, entscheide ich mich meistens für die vegetarischen Gerichte auf der Karte. An diesem Samstag trafen die Veggie-Gerichte so gar nicht meinen Gusto. Der Backhendlsalat sagt mir wesentlich mehr zu. Der Kellner war so im Stress, sodass ich mich gar nicht zu fragen traute, wo denn das Hendl aufgewachsen ist. Und irgendwie wusste ich auch, dass es nicht bio sein kann, sonst würde es wohl auf der Karte stehen. Und trotz des sich augenblicklich einschleichenden schlechten Gewissens bestellte ich ein Huhn ohne Provenienz. Meine Gefühlslage wurde beim Essen nicht besser. Fairerweise muss ich sagen, dass es geschmacklich gut war, aber im Kopfkino gab es nur ein Bild – eine abstoßende Hühnerfarm im irgendwo. Zu guter Letzt ärgerte ich mich noch, warum ich nicht doch etwas anderes bestellt hatte. Also selbst schuld!
Der Gast ist König
Zu Hause machte mein Kopfkino eine Wendung. Ich fragte mich, wie komme ich als Gast eigentlich dazu, dass es noch immer keine aussagekräftige Lebensmittelkennzeichnung in Lokalen gibt? Diese Null-Transparenz-Mentalität vieler Wirte ist alles andere als kundenorientiert. Es reicht nicht, die Preiserhöhungen mit der Inflation zu erklären, wenn gleichzeitig das Service immer schlechter wird und die Zutaten möglicherweise auch. Denn wer sagt mir, dass nicht die Eier im Frühstücksomlette aus Käfighaltung kommen, die außerhalb der EU immer noch erlaubt ist. Ich habe keine Ahnung, ob ich Rindfleisch aus Argentinien esse, dass ein Klimakiller ist und ob die angeblich hausgemachte Lasagne nicht doch in einer Fabrik produziert worden ist.
Wo bleibt die Lebensmittelkennzeichnung?
Unisono heißt es von den Interessensvertreter:innen der Gastronomie, dass der bürokratische Aufwand viel zu hoch sei für eine Herkunftskennzeichnung. Ich denke, das ist nur ein Teil der Wahrheit. Gastronomen, die hochwertige und gute Produkte verwenden, sagen das auch schon heute ihren Gästen. Und das ist klug und gut – es wertet die Küche und den Betrieb auf. Solche Restaurants wären dumm, wenn sie nicht mit ihrem Qualitätsanspruch werben würden.
Das lässt allerdings auch den Schluss nahe, dass viele Gastrobetriebe nicht mit den allerbesten Produkten kochen. Warum sollten sie sonst zögern, zu deklarieren, vorher sie ihr Fleisch, das Gemüse und die Milchprodukte beziehen? Kompliziert wird es natürlich auch für Unternehmen, die vermehrt auf Convenience-Produkte zurückgreifen. Wer schon mal durch einen Gastro-Großmarkt geschlendert ist, weiß, dass es da nahezu alles fix und fertig gibt. Da wird es natürlich mit der Kennzeichnung schwierig.
Es gibt Role Models
Dass es mit der Kennzeichnung funktionieren kann, zeigt der Lebensmittelhandel schon zum Teil. Bei frischem Gemüse, Obst, Eiern, verpacktem frischem Fleisch und Fisch muss die Herkunft angegeben sein. Eine verpflichtende Herkunftsangabe gibt es außerdem bei Olivenöl, Honig und bei Bio-Produkten aus der EU. Allerdings sagt die Kennzeichnung bei konventionell produziertem Fleisch wenig über Tierwohl – die Aufzucht, Haltung und Fütterung – aus. Und auch bei verarbeiteten Produkten sind die Inhaltsangaben oft sehr intransparent. Die klare Kennzeichnung bei Eiern in Bioqualität, Freilandhaltung oder Bodenhaltung ist allerdings vorbildlich und eigentlich nicht mehr wegzudenken. Die Käfighaltung ist zum Glück in der EU mittlerweile verboten. Trotzdem gibt es auch in Nicht-EU-Ländern Käfighaltung, die billiges Flüssigei auch nach Österreich liefern. Und das landet dann eben dort, wo es keine Kennzeichnung gibt – in der Gastronomie, Industrie und anderen Vielverbrauchern, wie Betriebsküchen und Kantinen. Verbraucherorganisationen und NGOs bemühen sich seit Jahren um mehr Transparenz, was in unseren Lebensmitteln drinnen ist und woher sie kommen. Verbesserungen stehen für Industrie und die Gemeinschaftsverpflegung im Raum. Die verpflichtende Herkunftskennzeichnung für Fleisch, Eier und Milch in der Gemeinschaftsverpflegung – beispielsweise für Krankenhäuser, Seniorenheime, Schulen – soll bis Mitte 2023 in Kraft treten. Die Gastronomie, oder vielmehr die Wirtschaftskammer, als Interessensvertretung verschließt sich nach wie vor gegen Verbesserungen. Es ist wohl noch ein steiniger Weg, bis wir wissen, was im Gasthaus auf unseren Tellern landet. In der Zwischenzeit sollten wir, anders als ich es beim Backhendlsalat gemacht habe, beim Bestellen nachfragen oder nur mehr dorthin gehen, wo wir wissen, was wir kriegen. Die Preise steigen auf jeden Fall, denn die Gastro ist einer der Preistreiber bei der derzeitigen Inflation. Die Transparenz bleibt aber nach wie vor auf der Strecke. Übrigens, mein Backhendlsalat vom Samstag hat Euro 15,40 gekostet. Mahlzeit!